Im Stavenhof 5-7
50668 Köln
Back

Der Dataismus – Gott ist ein Algorithmus?

Was ist Dataismus: Was sind die Auswirkungen einer Ideologie, die auf der Annahme beruht, dass alles in Daten umgewandelt werden kann und Information immer frei fließen sollte? Sind nur Prozessoren in einem Datenverarbeitungssystem? Das erfährst du in diesem Artikel.

Die Menschheit hat viele Religionen hervorgebracht, von denen die meisten eine oder mehrere Formen von Gottheiten verehren. Egal, was man von Religionen hält, sie hatten einen gesellschaftlichen Zweck und Nutzen: Sie liefern Regeln, moralische Richtlinien und Antworten auf metaphysische Fragen.

In der westlichen Welt ist Religion nur noch eine Randerscheinung, verdrängt von Zahlen, empirischen Daten und rationalen Erklärungen.

Doch womöglich sehen wir gerade die Entstehung einer neuen Religion, die ebenfalls einen Verhaltenskodex hat, aber ohne den traditionellen Gott auskommt und ihn durch einen Algorithmus ersetzt. Oder ist Gott ein Algorithmus?

Was ist Dataismus und wo kommt es her?

David Brooks erwähnte in seinem Artikel „The Philosophy of Data“ in der New York Times 2013 den Begriff Dataismus. Nur drei Jahre später greift Yuval Harari den Begriff in seinem Buch Homo Deus wieder auf. Dort habe ich ihn damals entdeckt.

In seinem 2016 erschienenen Buch Homo Deus beschreibt Harari den Dataismus als eine neue Form der Religion, die die wachsende Bedeutung von Big Data feiert. Dataisten glauben, dass der Datenfluss menschliche Gefühle übertrumpft.

Kerngedanken des Dataismus

Alles ist Daten

Der Dataismus geht von der Überzeugung aus, dass das Universum durch den Fluss von Daten verbunden ist und dass der Wert von allem, ob menschlich oder nicht, durch seine Fähigkeit, Daten zu verarbeiten, bestimmt werden kann.

Information > menschliche Erfahrung

Der Dataismus fordert unsere Grundwerte des Humanismus heraus, indem er Rohdaten über die menschliche Erfahrung stellt. Anstatt den Menschen über alle anderen Lebewesen zu erheben, verbindet der Dataismus alle Tiere und bricht die Barriere zwischen organischen und anorganischen Wesen auf.

Die Menschheit ist nur ein Datenverarbeitungssystem

Die moderne Wissenschaft hat damit begonnen, die Biologie mit Konzepten des Dataismus zu verschmelzen und sowohl einzelne Organismen als auch ganze Gemeinschaften als Datenverarbeitungseinheiten zu betrachten. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit kann genauso betrachtet werden: Wir sind immer effizienter darin geworden, Informationen zu sammeln, zu verteilen und zu verarbeiten.

Wenn wir als Menschheit ein einziges Datenverarbeitungssystem sind, dann sind einzelne Menschen wie Chips in einer riesigen Maschine.

Yuval Harari nennt in seinem Buch Homo Deus vier Bereiche, mit denen die Menschheit ihre Kapazität zur Informationsverarbeitung gesteigert hat. Diese schauen wir uns jetzt an.

Die Menschheitsgeschichte als Geschichte der Datenverarbeitung

Aus dataistischer Sicht kann also die gesamte menschliche Spezies als ein einziges datenverarbeitendes System gesehen werden, in dem der einzelne Mensch als Chip dient. Laut Harari kann unsere gesamte Geschichte als ein Prozess verstanden werden, in dem wir stetig versuchen, die Effizienz des Systems zu verbessern, und zwar durch vier grundlegende Methoden:

1. Hinzufügen von mehr Prozessoren durch Bevölkerungswachstum:

Eine Stadt mit 1.000.000 Menschen kann mehr Informationen verarbeiten als eine Stadt mit 1.000 Menschen.

2. Steigerung der Vielfalt der Prozessoren durch kulturelle Diversity:

Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen verarbeiten Informationen auf unterschiedliche Weise und tragen so einzigartige Ideen und Konzepte zu der Einheit bei.

3. Ausbau der Verbindungen zwischen den Prozessoren durch Infrastruktur:

Indem verschiedene Prozessoren miteinander verbunden werden, kann der Informationsaustausch robuster und effizienter gestaltet werden. So werden beispielsweise fünf Städte, die durch eine gut funktionierende Handelsroute verbunden sind, wahrscheinlich eine stärkere Wirtschaft haben als fünf isolierte Städte.

4. Mehr Datenfluss zwischen den Verbindungen

Der Schutz und die Förderung des freien Datenaustauschs ermöglichen eine schnellere Verbreitung von Informationen. Eine Handelsroute, die von einem Diktator streng reglementiert oder von Banden terrorisiert wird, wird weniger effizient sein als eine, die freies und sicheres Reisen ermöglicht.

Das Ende des Humanismus

Unsere Gefühle, Erlebnisse und Gedanken sind die Grundlage für unser heutiges Moralverhalten – unsere subjektive Erfahrung ersetzt religiöse Schriften.

Dataisten glauben, dass Datenfluss menschliche Gefühle übertrumpft. Sie haben nichts gegen Gefühle, glauben aber, dass sie keinen Eigenwert haben.

Aus datenwissenschaftlicher Sicht scheint es, dass wir sowohl im Umgang mit den Daten, die die Welt produziert, als auch beim Verständnis unseres eigenen Geistes und Körpers ratlos sind. Wir sollten stattdessen unsere Entscheidungen den Algorithmen überlassen, die uns besser kennen. Sie werden entscheiden, mit wem wir uns verabreden, was wir essen und wohin wir gehen. Wir alle werden dadurch glücklicher und gesünder sein.

Vielleicht werden wir in den kommenden Jahren mit diesen Algorithmen verschmelzen. Anstatt jegliche Bedeutung zu verlieren und die totale Kontrolle an das Netz abzugeben, könnten wir uns ihm anschließen, indem wir ihm all die Informationen geben, die uns ausmachen. Dann werden wir alle zu Daten, die durch das System fließen. Die Menschheit, so Harari, könnte nur eine kleine Welle im kosmischen Datenfluss sein.